Dass Eltern, Nicht-Eltern und vor allem Mütter untereinander immer am besten wissen, wie man ein anderes Kind erziehen sollte, ist inzwischen hinreichend bekannt. Wir alle sind genervt von Erziehungshinweisen von anderen, vom Einmischen in akute Situationen oder auch von Meinungen zu Grundsatzentscheidungen, die ich möglicherweise für mein Leben entschieden habe.
Wir alle wissen, dass wir keine perfekten Mütter sind. Aber wir alle wissen auch, dass wir alles geben. Trotzdem haben wir offenbar den Eindruck, dass es diese perfekten Mütter gibt. Manchmal sagt eine von ihnen: „Auch ich bin nicht perfekt. Auch ich flippe mal aus und reagiere irrational und bin total überfordert!“ Alle atmen erleichtert auf. Wieder eine perfekte Mutter weniger und ich muss mich doch nicht so schlecht fühlen. Dabei wussten wir doch eigentlich immer schon, dass auf dieser Welt einfach niemand perfekt ist. Und wenn es jemand behauptet, dann lügt er. Warum also meinen wir immer, uns an irgendwem orientieren zu müssen? Haben wir doch eh immer nur einen kleinen Einblick in das Leben anderer und bei den wenigsten blicken wir wirklich hinter die Kulisse.
Haben wir also den Punkt erreicht, an dem uns klar ist, dass niemand perfekt ist, könnten wir uns zurücklehnen und einfach mal nach bestem Wissen und Gewissen machen. Aber nein, wo kämen wir hin? Es gibt nämlich etwas, was mich in der letzten Zeit unglaublich aufregt. Und das sind Zeitungs- oder Blogartikel, die diverse Drohkulissen aufbauen. Uns allen ein schlechtes Gewissen machen wollen. Und im Grunde als unausgesprochenen Grundtenor haben: früher war alles besser!
So habe ich kürzlich wieder einen Artikel gelesen, dass unsere Kinder heutzutage viel zu früh funktionieren müssen. Angelehnt an die Tatsache, dass viele Kinder ab 1 Jahr oder 2 Jahren in die Kita gehen, müssen sich Kinder schneller in einen festgelegten Alltag einfügen. Stimmt. Während ich früher mit 3 Jahren in den Kindergarten kam und dort lediglich von 8-12Uhr war, sieht es für mein Kind heute ganz anders aus.
Seit sie 14 Monate ist, müssen wir zu einem definierten Zeitpunkt aufstehen. Fertigmachen, loseilen, pünktlich zum Kita-Frühstück sein. Später holen wir unsere Kinder ab, müssen noch einkaufen, putzen oder oder oder. Das ist bei dem einen mehr ausgeprägt, bei dem anderen weniger, je nach Lebenssituation. Klar ist: die Kinder müssen früher funktionieren.
Jetzt mag das vielleicht tatsächlich im Vergleich zu meiner eigenen Generation zutreffen. Denke ich aber an die Kindheit meiner eigenen Eltern oder Großeltern, so mussten sie vielleicht nicht im Rahmen der Kita funktionieren. Aber sie waren in den Alltag viel mehr eingespannt und mussten mehr mitlaufen. Da wurde nicht so viel chichi gemacht und das tausendste Teil für die Brio-Eisenbahn besorgt, weil es sich das Kind ja so wünschte. Da musste mit dem Vorlieb genommen werden, was die Natur so bot. Und wenn die Eltern mit ggfs. anderen Kindern der Großfamilie oder der Versorgung der eigenen Eltern beschäftigt waren, gab es keinen Raum zum Vorlesen des 5. Buches. Da mussten sich die Kinder miteinander beschäftigen, ihre Bedürfnisse zurückstellen und im Zweifel auch richtig mit anpacken.
Ich möchte überhaupt nichts davon beurteilen. Es geht darum, dass heutigen Eltern ein schlechtes Gewissen gemacht wird, obwohl die Situation in möglicherweise unterschiedlicher Ausprägung doch immer die gleiche war.
Und habe ich erstmal verdaut, dass ich mein Kind im schlechtesten Fall zu einem funktionierenden Roboter heranziehe, erscheint auch schon der nächste Artikel. Da geht es dann darum, warum ich mein Kind zu einem Narzissten erziehe, weil ich beim Abendessen aufstehe und den gewünschten, andersfarbigen Becher hole. Wo kommen wir da hin?
Immer wieder lese ich, dass wir unsere Kinder heute zu sehr verwöhnen. Dass sie sich niemals in ein arbeitsreiches Leben werden integrieren können, weil sie von zu Hause keine Grenzen, keine Selbstständigkeit gelernt haben. Weil wir sie behüten, wie unseren Augapfel. Weil wir keine 8 Kinder haben, sondern unseren 1-2 Kindern unsere ganze Aufmerksamkeit schenken können. Besser also, ihnen künstliche Aufmerksamkeit zu entziehen, damit sie nicht zu eingebildet werden?
Tja, und da stehe ich nun. Links und rechts von mir eine Drohkulisse. Und mittendrin ich, mit meinem komplett verwöhnten Roboterkind. Unumstößlich ist, dass ich ein Kind mit psychischen Schaden heranziehe. Denn ich kann gar nichts richtig machen. Bleibe ich 3 Jahre zu Hause, verhätschel ich mein Kind mit meiner ganzen Aufmerksamkeit. Gehe ich ab 1 Jahr arbeiten, muss mein Kind viel zu viel funktionieren. Geht es zu früh aufs Töpfchen wird es sexuell gestört. Schläft es im Familienbett, lernt es keine Grenzen. Lasse ich es weinen, um Grenzen zu ziehen, störe ich die Eltern-Kind-Bindung. Darf mein Kind Fernseh schauen und mein Handy nehmen, wird es zum digitalen Zombie.
Ich kann in diesem Text kaum herüberbringen, wie sehr mir das alles zum Hals raushängt. Ich persönlich versuche eigentlich auf mein Bauchgefühl zu hören. Ich möchte mein Kind mit all der Liebe überschütten, die ich empfinde. Ich möchte meinem Kind aber auch Grenzen zeigen, und das schließt meine persönlichen Grenzen ein. Ich möchte, dass sie sich in meinen Alltag eingliedert. Ich möchte aber auch so viele Bücher am Stück vorlesen, wie es die Zeit zulässt. Und wenn viel Zeit ist, dann halt viele. Ich hole ihr beim Abendessen einen andersfarbigen Becher, so oft ich ganz persönlich das möchte. Manchmal möchte ich einfach auch nicht. Ich möchte, dass sie so viel oder so wenig Fernseh schaut, wie ich das in dem Moment für richtig empfinde. Ich möchte „wenn…dann“ Sätze anwenden. Ich möchte sie so oft in unserem Bett schlafen lassen, wie es uns allen gut tut. Ich möchte mit ihr in die Welt reisen, egal ob sie es schon versteht oder nicht. Ich möchte alles so machen dürfen, wie ich das für richtig halte.
Oft genug bin ich unsicher, schon aus mir heraus. Aber mein Kind soll mich so erleben, wie ich bin. Ich liebe sie so sehr, dass ich keine Worte dafür finde. Und ich denke, dass ich ihr das auch ziemlich viel zeige. Manchmal mehr, als sie das selbst möchte. Sie wächst in einem warmherzigen Zuhause auf, bei dem sie hoffentlich eines Tages weiß, dass sie immer ein sicheres Netz und liebende Arme vorfindet.
Warum reicht das nicht? Warum brauchen wir all diese Artikel, die uns erzählen, dass wir heutzutage alles falsch machen? Dass vorherige Generationen offenbar alles besser gemacht haben? Sicherlich machen wir vieles anders als früher, aber auch meine Eltern haben vieles anders gemacht, als meine Großeltern. Die hatten alle nur das Glück, kein Internet zu haben, in dem sie vollgestopft werden mit Informationen, die sie gar nicht wollen.
Ich wünsche mir so sehr eine Welt, in der wir mal wieder entspannter sind. In der wir nicht nur unsere Kinder so sein lassen, wie sie sind. Sondern in der wir auch mal selbst so sein können, wie wir sind. Wir gönnen uns selbst nichts. Und solange ich – aus welchen Gründen auch immer – mir nicht selbst zugestehe einfach so sein zu können, wie es ich es mag, mich selbst zu mögen, einfach mal loszulassen…wie soll ich das dann meinem Kind vermitteln? Wie soll mein Kind entspannt und glücklich sein, wenn ich mir das selbst nicht zugestehe?
Wir alle wollen diese Drohkulissen nicht. Wir alle wollen auf unser Bauchgefühl hören. Und ich frage mich, warum wir dann trotzdem ständig über all das diskutieren. In jedem Artikel sollten einfach nur die folgenden Worte stehen, denn mehr gibt es zur Erzieung unserer Kinder nicht zu sagen: bedingungslose Liebe und Bauchgefühl!